China von Innen - Was bleibt an Eindrücken?
Verena Huber VSI und Ursula Maier BDIA auf Vortragsreise über Innenarchitektur
Die Vorgeschichte IFI Generalversammlung im Dezember 2003 in Pune (Indien). Zwei chinesische Innenarchitekten-Verbände werden als Neumitglieder aufgenommen. Wir schmieden Kontakte mit chinesischen Kollegen. Es folgt eine Einladung an Universitäten in Beijing und Shanghai. Ende September fliegen Ursula Maier und ich mit Power Point Präsentationen über Innenarchitektur in Deutschland und der Schweiz im Gepäck nach China. Wir sind für 10 Tage Gäste unserer Kollegen in Beijing und Shanghai. Nun, zwei Monate danach ein Blick zurück und die Frage, was bleibt?
Aufregend ist die Vorbereitung: Was interessiert die Chinesen an der Schweiz? Ich wähle 10 Beispiele von VSI-Innenarchitekten in 10 verschiedenen Planungsbereichen aus. Ich will damit auch etwas über die Schweiz und unseren Alltag erzählen. Ich stelle die 10 Innenarchitektinnen und Innenarchitekten vor – wie sie arbeiten – wie sie wohnen. Stichwörter in Englisch neben den Bildern sollen zum Verständnis beitragen. Ursula packt es etwas anders an: eine Auswahl ihrer eigenen Arbeiten mit hoher handwerklicher Qualität ergänzt sie mit 10 Projekten von BDIA-Kollegen, bei denen sie Tendenzen in der Innenarchitektur aufzeigt. Ihre Legenden lässt sie sogar auf chinesisch übersetzen. Und ganz wichtig: eine Europa-Karte, um zu zeigen, woher wir kommen. Und der Erfolg? Alles hängt von der Übersetzung ab, die wir nicht kontrollieren können. Die Zuhörer sind aufmerksam und höflich, stellen Fragen, ein Gruppenbild hält das Ereignis fest. Doch was bleibt bei ihnen an Eindrücken? Ob wir das je erfahren werden?
Bejing Als Gäste in China erfahren wir eine unermessliche Gastfreundschaft. Song Xin Wei, die Verantwortliche für die Organisation, und Chen Xue Li, genannt Shirley, die Übersetzerin empfangen uns frühmorgens am Flughafen. Schon beim Mittagessen sitzen wir mit den Dozenten der Innenarchitektur-Abteilung der Tsinghua-Universität um einen grossen runden Tisch mit Drehscheibe und schwelgen in den Köstlichkeiten der chinesischen Küche. Und dies geht so bis zum Schluss der Reise. Den Anfang macht ein Bankett mit einer Peking-Ente. Professor Zheng Shuyang, der hochverehrte Pionier und Leiter der Innenarchitektur hat unser Programm in den Händen. Die Vorbereitung für die Referate am Tag darauf übernimmt Shirley. Sie vertieft sich in die Materie, will alles verstehen und korrekt vermitteln. Wir haben den Eindruck, das gelinge ihr. Der Besuch an der Tshinghua-Universität beginnt mit einem Referat für die Dozenten. Sie wollen alles über unsere Ausbildung wissen. Währenddem ich mir diese Informationen mühsam zusammengesucht habe, kann Ursula eine CD von der Fachhochschule Stuttgart präsentieren. Am Nachmittag schenken uns etwa 60 Studierende ihre Aufmerksamkeit. Ihre konkreten Fragen betreffen vor allem den Umgang mit bestehender Bausubstanz. Auch uns beschäftigt diese Frage auf unserer Reise.
Danach kommt das Freizeit-Besuchsprogramm. Wir werden jeden Tag von einer anderen englischsprechenden Studentin geführt und betreut. Sie zeigen uns auch, was sie uns zeigen wollen. Wir erfahren viel aus ihrem Leben und erzählen ihnen auch persönliches von uns. Die Chinesische Mauer, die Verbotene Stadt und der Tjan’anmen-Platz am Chinesischen Nationalfeiertag bleiben unvergesslich, mit den vielen Menschen, die aus ganz China angereist sind. Überwältigend auch das riesige Angebot auf dem Markt, in den neuen Shopping-Centers und an den Ess-Ständen mit nicht nur für uns ungeniessbaren Spezialitäten aus allen chinesischen Provinzen.
Das Mittagessen in der Universitätskantine, der Besuch in einer Studentenbude und die Führung durch den Haupt-Campus der Tshinghua-Universität mit einer begeisterten Studentin bleiben unvergesslich als Ergänzung zu den touristischen, museal geprägten Besichtigungen. Auf unseren Wunsch besuchen wir auch ein Quartier mit alten Hofhäusern. Für unsere Reiseführerin haben diese jedoch keinen kulturellen Wert. Die jungen Leute scheinen hoffnungsvoll in eine bessere Zukunft zu schauen.
Eindrücklich auch der Besuch beim Bildhauer Aiweiwei, den Ursula vermittelt. Er lässt uns ahnen, wie man in die Werte der chinesischen Kultur tiefer eintauchen könnte und sollte. Er ist ein Kenner der Schweiz, durch die Zusammenarbeit mit Herzog de Meuron und als Kurator der Ausstellung mit der Sammlung von Jakob Kellenberger, dem langjährigen Schweizer Botschafter in China, im kommenden Frühjahr in Bern.
Shanghai Hier sind wir Gäste von Prof. Lai Zeng-Xiang – chinesisch kommt der Vorname nach dem Familiennamen – der alles ins Rollen gebracht hat. Er leitet die Innenarchitektur-Abteilung der Tongji-Universität, ist quirlig, geradlinig, temperamentvoll, ein kritischer Geist. Wir wohnen im Gästehaus der Universität auf seine private Einladung. Sein Doktorand Liu Minnan fährt uns im Auto seines Vaters herum. Die Architekturschule befindet sich in einem neuen Gebäude, architektonisch interessant, doch bautechnisch fragwürdig, wenn man Ansprüche an Nachhaltigkeit stellt. Damit ist sie typisch für den Bauboom in Shanghai. Wir treffen uns dort mit Absolventen der Schule. Unser Eindruck: Erfolg wird vor allem am Business gemessen. Der Besuch in einem grossen Innenarchitekturbüro, das als Generalunternehmer auftritt, bestätigt uns diese Annahme. Unsere Vorlesung wird aus dem Stegreif übersetzt. Pascal Müller, ein in Shangai tätiger ETH-Architekt, war unter den Zuhörern und macht uns mit den Mentalitäts-Unterschieden in unserem Berufs-Umfeld vertraut. Da wird uns bewusst, wie wir uns, erst recht bei einem Kurzbesuch, gegenseitig fremd bleiben.
Das touristische Programm des Shanghai-Besuchs konzentriert sich auf historische Gartenanlagen und Paläste. Ein Ausflug nach Suzhou führt uns durch die endlose Stadtlandschaft, dann durch Industrieland – von Landschaft ist da nicht mehr viel zu sehen. Diese findet man heute auch in dem schnell wachsenden Suzhou nur noch in Museumsparks.
Shanghai wird für uns zum besonderen Erlebnis, weil IFI Präsident Young Baek Min aus Seoul anreist, um uns sein Shanghai zu zeigen. Als Koreaner in China aufgewachsen spricht er Mandarin und fühlt sich in Shanghai fast zu Hause. Er hat Ideen für die Stadt und entwickelt Projekte mit seinen Freunden und Kollegen, die wir kennenlernen. Shanghai bekommt durch sie ein vitales Gesicht, vor allem bei Nacht, in der umwerfend schönen Stadtbeleuchtung, die man auch spätabends unter freiem Himmel geniessen kann, wenn man die Energiefrage verdrängt. Wir sehen Restaurants, Bars, Läden, so interessant gestaltet, dass sie zu einer VSI-Reise verlocken.
Und zum Abschluss sind wir zu Gast bei Prof. Lai, in seinem geschmackvollen Reihenhaus in einer neueren Siedlung in Pudong, bekocht von seiner Frau und dem Quartiers-Caterer, unterhalten von seiner 11-jänrigen Grosstochter, die uns Chopin auf dem Klavier vorspielt und ihre Englisch-Kenntnisse mit uns erprobt. Wir können uns vorstellen, welche Chancen die junge Generation einmal haben wird. Shanghai von innen – ein besonderes Erlebnis mit besonderen Menschen. Wir wollen dorthin zurück. Mit der Magnetschwebebahn vom Flughafen geht das ganz rasch.
Was bleibt? Die Begegnung mit Kollegen in einem uns fremden – auch fremd bleibenden Land ist eine spezielle Erfahrung, ermöglicht durch die Beziehungen in IFI. Ihre Gastfreundschaft, ihre Offenheit trotz sprachlichen Barrieren hat uns beeindruckt. Zu denken gibt uns ihr Umgang mit fremdem Kulturgut. Bei einer Idee, einer Form zählt nicht der Wert des Originals, sondern ist selbstverständlich als Allgemeingut verfügbar. Ein schlechtes Gewissen plagt sie nicht beim Kopieren. Ein anderes Kulturverständnis, das nicht einfach zu verstehen ist. Damit bleibt uns ein kritischer Blick zurück auf unsere eigene Designkultur, die uns so selbstverständlich scheint.
VH 29.11.04